Wie geht es uns heute?
Ein Plädoyer für aktuelle Daten und Fakten zur sozialen und ökonomischen Lage von vulnerablen Gruppen, inklusive Alleinerziehende.
Seit etlichen Jahren werden wir von akuten Krisen geplagt. Es gibt viel Evidenz dafür, dass Krisenzeiten vulnerable Bevölkerungsgruppen besonders stark treffen. Das zeigte sich in der COVID-19-Pandemie mit ihren vielfältigen negativen Effekten auf die Gruppe der Alleinerziehenden (siehe Leitartikel Ausgabe 1/2022). Das Auftreten mehrerer Risikolagen kurz hinter- bzw. nebeneinander verstärkt die Herausforderungen weiter. Die Politik versucht, auf soziale Bedarfe zu reagieren und etwa mithilfe von Einmalzahlungen zu unterstützen. Angewiesen ist die Politik dabei auf Fakten, die nicht nur aufzeigen, dass der Schuh drückt, sondern auch, bei welchen Gruppen dies besonders der Fall ist: welche also vorrangige Unterstützung benötigen.
Im Hinblick auf eine verlässliche Informationsbasis in turbulenten Zeiten weisen herkömmliche Erhebungen Schwächen auf. So wird etwa die EU-SILC-Befragung nur einmal jährlich durchgeführt. Sie sammelt zudem etliche Informationen (z. B. zum Einkommen oder zur Erwerbstätigkeit), die sich auf das Jahr vor der Befragung beziehen. Angesichts der multiplen und sich in schneller zeitlicher Abfolge zuspitzenden Krisen ist die entsprechende Berichterstattung als Basis für aktuelle politische Maßnahmen daher wenig hilfreich. Abhilfe schafft aktuell eine Schnellbefragung, die alle drei Monate (von der Statistik Austria) durchgeführt, (vom IHS) rasch ausgewertet und veröffentlicht wird. Aktuell liegen für Österreich Ergebnisse aus drei Wellen der Erhebung mit dem Namen „So geht’s uns heute“ vor, welche die soziale Lage im vierten Quartal 2021 sowie im ersten und zweiten Quartal 2022 abbilden.
Es zeigt sich dabei deutlich, dass sich die sozialen Gefährdungslagen im letzten Dreivierteljahr massiv verschärft haben (Mühlböck et al. 2022). In Ein-Eltern-Haushalten ist der Anteil jener, die Schwierigkeiten haben, mit ihrem Einkommen auszukommen, vom letzten Quartal 2021 bis zum zweiten Quartal 2022 von 18 % auf 27 % angestiegen. Das spiegelt die zunehmende Bedeutung der hohen Inflation für einkommensschwache Haushalte wider. Aktuell könnte jede zweite Person in einem Ein-Eltern-Haushalt unerwartete Ausgaben in der Höhe von € 1.300,– nicht finanzieren – auch weil die finanziellen Reserven schon während der COVID-Krise aufgebraucht worden sind. Etwa ein Viertel der Alleinerziehenden kann sich aktuell selbst Kleinigkeiten, wie ein Eis oder einen Kinobesuch, nicht mehr leisten. Wenig überraschend zeigen die „So geht’s uns heute“-Befragungen zudem, dass mehr und mehr Alleinerziehende von einem Zahlungsverzug betroffen sind. Gaben Ende 2021 noch 9 %, an, im vorhergehenden Quartal die Miete, Wohnnebenkosten, Betriebskosten, einen Wohnkredit oder einen Konsumkredit nicht rechtzeitig beglichen zu haben, so betrug der entsprechende Anteil im zweiten Quartal 2022 schon 20 %. 29 % der Alleinerziehenden stuften ihre Wohnkosten als „schwere finanzielle Belastung“ ein und 30 % erwarteten Schwierigkeiten für das dritte Quartal, ihre Wohnkosten nicht mehr begleichen zu können. All diese Ergebnisse belegen eindrücklich, dass sich die ökonomische Lage gerade von Alleinerziehenden in neun Monaten sukzessive verschlechtert hat. Das sind nicht nur repräsentative, sondern auch relevante Informationen für die Politik, die mit sozialpolitischen Maßnahmen (z. B. Delogierungsverbote und monetäre Transfers) für eine treffsichere Entlastung bei den besonders vulnerablen Gruppen sorgen sollte. Der Wert dieser mehrmals pro Jahr erhobenen und rasch ausgewerteten sowie veröffentlichten Informationen, die notwendig für politische Interventionen sind, kann daher meines Erachtens nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Referenzen
Mühlböck, M.; Juen, I.; Brunner, S.; Brüngger, L.; Till, M. und Moser, W. (2022). So gehtʼs uns heute: die sozialen Krisenfolgen im zweiten Quartal 2022 – Schwerpunkt Wohnen.
Wien, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.
ao. Univ.-Prof.in Dr.in Karin Heitzmann
arbeitet am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien und ist Leiterin des Forschungsinstituts Economics of Inequality (INEQ). Ihre Forschung beschäftigt sich mit Fragen zur Armut und zur Zukunft des Sozialstaats (insb. des Sozialinvestitionsstaats).
Foto: © Karin Heitzmann