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Soziale Arbeit in der Schule

Über Beziehungsarbeit, Brandlöschung und aktuelle Herausforderungen.

Einleitung

Ich arbeite seit 2018 als Schulsozialarbeiterin des Trägers ÖZPGS an öffentlichen Pflichtschulen in Wien, in einer Volksschule und zwei Mittelschulen. Schulsozialarbeit ist ein freiwilliges, niederschwelliges Angebot für Kinder, Jugendliche und deren Familien sowie Lehrpersonen und Schulleiter*innen mit dem Ziel, Schüler*innen in ihrer  Handlungsfähigkeit und Alltagsbewältigung zu stärken. Neben der ressourcenstärkenden Arbeit in Form von Beratungsangeboten im Einzel- oder Gruppensetting finden auch Workshops im Klassensetting oder Präventionsangebote zu aktuellen Themen satt.

Im Schulalltag kann man sich das so vorstellen: Ich habe einen Beratungsraum in jeder Schule und bin an festgelegten Tagen der Woche in den Schulen präsent. Die Kinder und Jugendlichen schätzen dieses Angebot sehr und kommen – meistens von sich aus – auf mich zu. Wir besprechen vielfältige, für die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen bedeutsame Themen, suchen gemeinsam nach Lösungen und schaffen durch kontinuierliche Gespräche und Angebote Entlastung. In manchen Situationen ist es wichtig, die Eltern/Erziehungsberechtigten und/oder die Lehrpersonen einzubinden, in anderen nicht. Manchmal werde ich auch von Lehrer*innen gebeten, bei Schüler*innen ein Gesprächsangebot zu setzen, wenn sie beobachten, dass es ihnen nicht gut geht, oder weil es beispielsweise familienbezogene Themen gibt, die während der kurzen Unterrichtspause nicht ausreichend besprochen werden können. Oft wünschen sich Kinder eine neutrale Person, welche nicht der/die Lehrer*in oder die Mutter bzw. der Vater ist. Hier beginnt meine Tätigkeit als Schulsozialarbeiterin.

So auch beim 11-jährigen Daniel (Name geändert): Die Klassenlehrerin einer 2. Klasse Mittelschule kam zu Beginn des Schuljahres auf mich zu und erzählte mir von ihrem neuen Schüler, welcher gerade dabei ist, sich in der Klasse zurechtzufinden. Dies fällt ihm sichtlich schwer, er wird leicht aufbrausend und wütend. Daniel ist nicht für das (zu bezahlende) Mittagessen und die betreute Hausübungszeit in der Schule angemeldet, weshalb er die Schule mittags für 2 Stunden verlassen und danach wieder in den Nachmittagsunterricht kommen muss. In letzter Zeit ist er nachmittags nicht mehr erschienen, weshalb sie mich bittet, ihn kennenzulernen.

Im Zuge meiner Gespräche mit Daniel wird schnell klar, dass er sehr belastet ist. Er erzählt, dass seine Eltern immer schon viel gestritten haben, während der Pandemie verlor der Vater seinen Job und wurde der Mutter gegenüber gewalttätig. Es erfolgte eine Scheidung und ein Umzug, aufgrund dessen Daniel und seine Schwester die Schule wechseln mussten. Momentan gibt es keinen Kontakt zum Vater. Die Mutter arbeitet sehr viel und Daniel ist oft mit seiner großen Schwester allein zu Hause. Daniel hat mitbekommen, dass seine Mutter Schwierigkeiten hat, finanziell über die Runden zu kommen, weshalb er momentan die beiden betreuten Mittagsstunden nicht besuchen kann. Auf die Frage, warum er nicht zum Nachmittagsunterricht erscheint, sagt er, dass er nach dem Vormittagsunterricht zu Hause beginnt, am PC zu spielen und die Zeit dann vergisst.

Aktuelle Situation an Schulen

Die aktuelle Situation an Schulen ist aus meiner Sicht besorgniserregend. Die Pandemie, damit einhergehende Jobverluste, Homeschooling, fehlende Sozialkontakte oder Familienumstrukturierungen hinterlassen Spuren bei den Kindern.

Besonders in Familien alleinerziehender Elternteile wird bemerkbar, dass die finanzielle Situation belastend ist. Trotz einkommensgestaffelter Ermäßigungen für die betreute Mittags- und Hausübungszeit für ganztags geführte oder offene Schulen ist der zu zahlende Betrag oft nicht erschwinglich.

Auf der gesetzlichen Ebene scheint alles klar zu sein: Der Elternteil, der nicht den Haushalt führt, in dem das Kind betreut wird, muss finanziellen Unterhalt für das Kind leisten. In der Realität erfahre ich jedoch oft, dass Eltern ohne finanziell geregelte Abmachungen getrennt leben. Manchmal gab es noch nie Kontakt zum Kindesvater und somit auch keine finanzielle Unterstützung seinerseits. Diese Beispiele zeigen die große Gruppe an „unsichtbaren Alleinerziehenden“, die lange Zeit keine Unterstützung erhalten.

Solche Familienumstände fallen meist im Schulalltag nicht auf. Dies ist der Punkt, an dem Schulsozialarbeit ansetzt – und prekäre Familiensituationen „sichtbar“ machen kann, um diejenigen zu stärken und zu unterstützen, die eben nicht am lautesten schreien. Es benötigt viel Aufklärungsarbeit. Das niederschwellige Angebot der Schulsozialarbeit ist gut erreichbar für Kinder und Eltern. Die Hemmschwelle, familiäre oder finanzielle Themen anzusprechen, ist in Gesprächen mit Schulsozialarbeiter*innen geringer als in Gesprächen mit Lehrer*innen. Außerdem haben Schulsozialarbeiter*innen die Möglichkeit, die Familien zu den richtigen Beratungsstellen oder außerschulischen Einrichtungen zu begleiten.

Wie Alleinerziehende vonseiten der Schule unterstützt und gestärkt werden können und welche Herausforderungen es gibt

Neben aufmerksamen Lehrer*innen, von denen es glücklicherweise jede Menge an meinen zu betreuenden Schulen gibt, habe ich als Schulsozialarbeiterin den großen Vorteil, niederschwellig quasi direkt im Klassenzimmer sozialarbeiterisch und sozialpädagogisch tätig werden zu können. Ich begegne den Kindern und deren Familien in ihrem täglichen Schulalltag und kann dort präsent ein, wo andere Beratungseinrichtungen erst nach mehreren Hürden erreicht werden. Ich verfüge über ein großes Netzwerk an Unterstützungsangeboten im Schulbezirk und kenne spezialisierte Expert*innen, an welche ich die Eltern vermitteln kann. Doch auch meine Ressourcen sind begrenzt, denn dort, wo wirklich nachhaltig sozialarbeiterisch, sozialpädagogisch oder psychologisch begleitet werden soll, braucht es zuallererst eine Vertrauensbeziehung. Die außerschulischen Beratungsangebote sind darüber hinaus voll ausgelastet und es gibt lange Wartezeiten.

Die bedeutsame Vertrauensbeziehung aufzubauen erfordert Zeit und qualitatives Arbeiten. Durch die Vielzahl an zu betreuenden Fällen entsteht aktuell das Gefühl, als „Feuerwehr“ durch die Schule zu laufen und dort Konflikte zu lösen oder Bedürfnisse zu stillen, wo es akut benötigt wird. Die Beziehungsarbeit und die regelmäßigen Gespräche, die es erfordern würde, um wirklich langfristig begleiten zu können, geraten leider momentan immer weiter nach unten auf der Warteliste.

Was es braucht

In den letzten Jahren wurden die personellen Ressourcen in der Schulsozialarbeit und in der Schulpsychologie der Bildungsdirektion, unter anderem des Trägers ÖZPGS, ausgebaut. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch trotzdem noch weit entfernt von einer optimalen Situation. Derzeit sind von 400 öffentlichen Pflichtschulen in Wien nicht ganz 150 von einem*einer Schulsozialarbeiter*in betreut. Es bräuchte zusätzlich noch viel mehr psychosoziales Unterstützungsangebot wie beispielsweise mehr Schulpsycholog*innen, Beratungslehrer*innen, Jugendcoaches sowie Verwaltungspersonal an Schulen.

Darüber hinaus sollten Ganztagsschulen bzw. Mittags- und Lernaufsicht in offen gehaltenen Schulen mit Nachmittagsunterricht besser zugänglich gemacht werden, indem diese Betreuungsstunden günstiger gemacht werden. Zwar gibt es an das Einkommen gekoppelte Ermäßigungen der Stadt Wien, für die von mir genannten „unsichtbaren Alleinerziehenden“, welche (noch) keine finanzielle Unterstützung erhalten, sind diese Summen trotzdem unerschwinglich. Am Beispiel von Daniel ist zu erkennen, welche Kreise dieser Umstand zieht.

Ein weiterer Punkt, um Alleinerziehende zu entlasten, sind kostenlose Ferienangebote und Freizeitangebote, mit denen Kindern eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung geboten wird, die nicht nur Freude am Tun, sondern auch Freundschaften und soziales Miteinander fördern.

Eine der Mittelschulen ist gerade dabei, ein Elternabend-Programm im „Grätzl“ zu etablieren, um Aufklärungsarbeit und Elternbildung noch mehr auszubauen. Dies ist ein guter Ansatz, auf den man gespannt sein darf!

Simone Nigischer, MA

Simone Nigischer, MA

ist ausgebildete Sozialpädagogin und arbeitet seit 5 Jahren in der Schulsozialarbeit an Wiener Pflichtschulen.

Foto: © Simone Nigischer

Wenn Alleinerziehende ungleich behandelt werden, zeigen wir das auf.

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