ÖPA richtet Brief an Bundeskanzler
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Nehammer,
heute ist Tag der Alleinerziehenden, ein Tag, an dem Alleinerziehende für ihre äußerst herausfordernden Leistungen für die Gesellschaft gewürdigt werden sollten. Ein-Elternfamilien gehören zu jenen Familien, die eine überaus hohe Armuts- und Deprivationsgefährdung im Vergleich zur österreichischen Bevölkerung aufweisen, also zu jenen Familien, über deren Lebenssituation Sie mit Ihren Parteikolleg*innen beim geselligen Beisammensein im schicken Weinkeller äußerst verachtend gescherzt haben.
Die Aufgaben eines bezahlten Amtes, wie jenes des Bundeskanzlers, sollten unter anderem vom Herstellen von Rahmenbedingungen und Strategien zur Armutsbekämpfung von Familien geprägt sein. Die Lebensrealität der von Armut betroffenen Kindern gilt es ernst zu nehmen, Verständnis für diese Kinder und Jugendlichen zu zeigen, sie zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass nicht mehr jedes 5. Kind in Österreich armuts- und ausgrenzungsgefährdet ist und unter prekären Lebensbedingungen „in einem der besten Länder“ aufwächst.
Bitte erkundigen Sie sich über die Gründe, warum Familien von Armut betroffen sind und warum nicht alle Kinder die gleichen Chancen auf eine vollwertige gesellschaftliche Teilnahme haben. Diese Gründe sind sehr vielschichtig und hängen nicht zuletzt mit fehlenden staatlichen Unterstützungsmaßnahmen bzw. strukturellen Rahmenbedingungen zusammen. Sie lassen sich nicht auf individuelle Entscheidungen und eine fehlende, eigene Arbeitsmotivation herunterbrechen.
Vielleicht überlegen Sie auch in Kontakt mit Familien, die von Armut betroffen sind, zu gelangen und mit ihnen ein Gespräch über ihren Alltag zu führen, um der Wirklichkeit der Menschen in dem Land, in dem Sie das Amt des Bundeskanzlers innehaben, ein wenig näher zu kommen.
Allen Menschen sollte gleicher Respekt entgegengebracht werden. Eine Entschuldigung bei all jenen Eltern, die jedes Monat ums Überleben kämpfen müssen und von Sorgen und beschämenden Gefühlen geplagt sind, weil sich die Lebenswelt ihrer Kinder an den knappen finanziellen Ressourcen orientieren muss, ist nach den aktuellen Vorkommnissen und fehlender Verantwortungsübernahme von überaus gut bezahlten Regierungsmitgliedern das Mindeste.
Wien, am 28. September 2023