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Mutter hebt ihr lachendes Baby hoch. Sie sind draußen und überall liegt Schnee.
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Liebe kennt kein schlechtes Gewissen

Nahezu alle Eltern erleben früher oder später Momente, in denen sich schlechtes Gewissen zeigt. Alleinerziehende trifft es meiner Einschätzung nach besonders oft. Man fragt sich, ob den Kindern aufgrund der gegebenen Familiensituation etwas fehlt, ob man selbst als Elternteil gut genug ist, ob es nicht besser wäre, wenn …

Unser Wunsch, die Aufgabe als Eltern bestmöglich machen zu wollen, ist wichtig, und es ist gut, diese Herausforderung ernst zu nehmen. Doch ein schlechtes Gewissen schwächt uns, und es ist auch essenziell, sich dies immer wieder bewusst zu machen. Denn es bleibt weniger Platz für das, was wirklich zählt – nämlich das Gute, das da ist. Das sind Momente der Verbundenheit, des Zusammenhalts, gemeinsame Erlebnisse, ob spektakulär oder unspektakulär. Es sind ebenso die Momente, in denen wir unseren Kindern vermitteln, dass wir an sie glauben, ihnen etwas zutrauen, manchmal auch, indem wir ihnen etwas zumuten. Wenn das Kind zum Beispiel erstmals selbstständig und allein Semmeln holen geht und gefühlt einen Meter größer zurückkehrt, weil es das geschafft hat, dann haben wir durch Zutrauen und auch ein bisschen Zumutung sein Selbstwertgefühl gestärkt. Immerhin heißt es für so eine Aufgabe, beim ersten Mal zumindest, die eigene Komfortzone zu verlassen. Das bedeutet, das bisher Gewohnte zu sprengen, um neue Erfahrungen zu machen. Nur so ist persönliches Wachstum möglich.

„Wachstumsschmerzen“ gehören dazu

Manchmal sind solche Momente mit Überwindung oder unangenehmen Gefühlen verbunden. Ich nenne diese Begleiterscheinungen des Erweiterns der Komfortzone deshalb auch „Wachstumsschmerzen“. Das gehört zum Leben dazu, denn Leben IST Veränderung. Leben bedeutet immer wieder, persönlich wachsen zu dürfen und zu müssen. Manchmal passiert es freiwillig, manchmal eben nicht.
Wie auch immer es dazu gekommen ist, dass in Ihrer Familie nun das Wort „alleinerziehend“ präsent ist, es gehört viel Kraft und Mut dazu, diesen Weg zu gehen. Vermutlich auch einiges an Wachstumsschmerzen. Ihre Kinder dürfen das Leben mit Ihnen gemeinsam erleben, am Leben teilhaben – in guten und in schwierigen Zeiten. Es hat viele Vorteile, das gesamte Spektrum kennenzulernen, denn nur so lernen wir, damit umzugehen – egal, wie alt wir sind. Starke Menschen haben meistens eine Geschichte, die sie stark gemacht hat. Und idealerweise haben solche Menschen auch Eltern, die ihnen Vorbild und Stütze gleichermaßen waren, gesunde Strategien für den Umgang mit schwierigen Lebenssituationen zu entwickeln. Wenn alles easy läuft, immer alles Schlaraffenland- ähnlich geflogen kommt, man sich um gar nichts bemühen oder gar nicht anstrengen muss, wird keinerlei Selbstwirksamkeit erlernt. Und es ist eine Fehlinterpretation von Liebe. Klar, die meisten Eltern wollen, dass es ihren Kindern besser ergeht als ihnen selbst. Doch das bedeutet nicht, dass man ihnen etwas Gutes damit tut, alle Steine aus dem Weg zu räumen. Und es bedeutet noch weniger, im materiellen Sinne etwas zu kompensieren, das (möglicherweise) fehlt. Ich habe „möglicherweise“ in Klammern gesetzt, weil es gar nicht immer so ist, dass den Kindern etwas fehlt – vielmehr ist es im Kopf der Erwachsenen so.

Die innere Haltung

Liebe zeigt sich doch am allerhäufigsten in sehr kleinen und meistens unspektakulären Situationen. Ein liebes Wort, ein zärtlicher Blick, eine vertrauensvolle Berührung, Verständnis zeigen, Zuhören … Die Menge machtʼs, damit sich jemand geliebt fühlt. Letztendlich geht es um eine innere HALTUNG den Kindern (und anderen Menschen) gegenüber, die es ermöglicht, liebevoll mit ihnen zu kommunizieren, sie möglichst wertfrei anzunehmen, wie sie eben sind. Auch in Konfliktsituationen.

So wie wir denken, so fühlen wir und entsprechend handeln wir. Denken Sie also gut über Ihre Mitmenschen und lassen Sie es die anderen wissen. Sprechen Sie in Ich-Botschaften statt in der Du-Sprache und bleiben Sie wirklich bei Ihren persönlichen Empfindungen, Werthaltungen, Bedürfnissen etc., über die Sie erzählen. So kommen wir in einen echten, authentischen Dialog miteinander, wo jede*r sagen darf, was sie oder ihn beschäftigt oder antreibt. Dieser aufrichtige Kontakt ist die Basis für Ihre Bindung zum Kind. Das bedeutet nicht, dass Sie Ihrem Kind alles durchgehen lassen sollen, auch nicht, dass Sie Ihrem Kind all Ihre Sorgen und Nöte „umhängen“. Natürlich müssen Sie weiterhin auch mal „Nein“ sagen, sonst kann sich Ihr Kind nicht orientieren. Und wenn ich sage, Sie sollen Ihr Kind nicht mit eigenen Sorgen belasten, dann ist das inhaltlich gemeint. DASS Sie Sorgen haben und DASS es Ihnen mal nicht gut geht, können Sie ohnehin nicht vor Ihrem Kind verbergen, denn dafür haben Kinder viel zu feine Antennen. So gesehen können Sie diese Tatsache ruhig aussprechen, allerdings immer mit dem Zusatz, dass Sie sich darum kümmern und schon einen Weg finden werden. An dieser Stelle sei gesagt, dass es eine gute Idee ist, sich dann erwachsene Unterstützung zu suchen, ob professionell oder im Freundeskreis. Jedenfalls darf Ihr Kind erfahren, dass Sie sich als Erwachsene*r darum kümmern und dass das zum Erwachsensein dazu gehört. Wieder etwas gelernt. Man nennt es Eigenverantwortung.

Unser Gedankengut

Sehen Sie, es gibt nichts, woraus man ohne Lernerfahrung rausgeht. Sie geben Ihr Bestes, und das ist an manchen Tagen mehr, an manchen Tagen weniger „zufriedenstellend“. Wie das bei Menschen eben so ist. Und sind wir uns ehrlich, es hängt ja sehr von den eigenen Ansprüchen ab. Da wären wir wieder beim eigenen Gedankengut! Denken Sie also nicht nur gut über Ihre Kinder, sondern auch über sich selbst. Das färbt schließlich auch auf die Kinder ab.

Sie machen als Mutter oder Vater zu jeder Zeit den besten Job, den Sie gerade machen können. Manchmal ist nicht mehr drin, weil Sie vielleicht erschöpft sind, frustriert oder traurig. Dafür ist an anderen Tagen ganz viel drin. Die Liebe ist immer da, auch wenn wir mal grantig sind. Das ist es, was ich mit der inneren Haltung meine. Es wird sich selbst in einer Konfliktsituation mit dem Kind zeigen, wie wichtig es Ihnen ist. Wie oft habe ich selbst zu meinen Söhnen so etwas in der Art gesagt: „Du weißt genau, wie sehr ich dich liebe, doch das mag ich überhaupt nicht! Ich will mich darauf verlassen können, dass …“ oder so ähnlich.

Konflikte sind ganz normal und besonders dort häufig, wo Menschen sehr eng zusammenleben. Wir müssen uns zeigen, auch in unserem Ärger.

Wer Konflikten aus dem Weg geht, geht letztendlich den Menschen aus dem Weg. Die Kunst ist, die liebevolle Verbindung zu halten. Es ist nämlich die (Ver-)Bindung, die Qualität der Beziehung, die Familien trägt. Nicht die Anzahl der Familienmitglieder.

 

Linda Syllaba

Linda Syllaba

ist Autorin und Lifecoach. Sie bietet Familienberatung und Karrierecoaching in Korneuburg sowie online.
syllaba@beziehungshaus.at
+43 676/477 09 98.

Nähere Informationen auch unter
www.beziehungshaus.at/elterncoaching
Foto: Bianca Kübler ©

Wenn Alleinerziehende ungleich behandelt werden, zeigen wir das auf.

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